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Studium vs. Arbeit

Architekten haben diverse Pflichten und von ihnen wird viel verlangt, doch nur auf wenig davon werden sie im Studium vorbereitet oder überhaupt nur hingewiesen.
Sobald ein Architekt die ‚Komfortzone verlässt‘ und über den Tellerrand des Entwerfens hinaus schaut, wird er von Bauträgern, Bauherren und seiner Aufsichtspflicht in die Mangel genommen.

Was lernt man an der Uni?

Während des Studiums wird man intensiv auf den Entwurf vorbereitet. Der Entwurf ist die Königsdisziplin der Architekten und folglich auch das, wofür das Herz der meisten Architekten schlägt. Der Entwurf ist nicht nur das reine Denken mit dem Kopf, das weltfremde und abgehobene Ideenspektrum eines geborenen Individualisten mit schwarzem Anzug und rotem Schal, sondern viel mehr das sinnvolle Kombinieren von Möglichkeiten unter Berücksichtigung wichtiger Vorgaben bei kreativer Auslegung zwingender Einschränkungen. Vorgaben sind oft nicht konkret und selten ausreichend ausführlich durchdacht. Der Architekt ist geschult darin, sich in ein Gebäude und seine Nutzbarkeit hinein versetzen zu können und so sieht er konzeptionelle Mängel oder schlicht fehlende Punkte schneller, auf die ein Laie (was mit Verlaub die meisten Bauherren ja sind) gar nicht kommt und daher auch nicht in den Vorgaben nennt.

Der Architekt denkt also weiter und erkennt mögliche Erweiterungen der Liste, damit sich der Bauherr auch noch in 2-10 Jahren über sein Bauwerk freut und nicht in einem Jahr unglücklich ist, weil er einen für ihn wichtigen Raum nicht hat. Da sich der Architekt mit dem Bauherren auseinander setzt und sich in Menschen hineinversetzen kann, denkt er weiter, teilweise Jahrzehnte voraus, und macht Vorschläge, die den Gebäuden längere Nutzbarkeit geben.

Am konkreten Beispiel:

Ein Bauherr möchte ein Haus für sich und seine Kinder; die Familie passt hervorragend zusammen und der Familienclan möchte sich lange nicht trennen. Auch soll das Haus in Familienbesitz bleiben und niemand möchte weit weg ziehen.
Dass die Kinder irgendwann nicht mehr in der Elternwohnung leben wollen, bedenkt der Bauherr vielleicht noch und plant Einliegerwohnungen ein, dass aber irgendwann ein barrierefreier Zugang nötig wird, und daher Rampen oder gar Aufzüge notwendig werden könnten oder weitere Kinderzimmer für Enkel in Spe, hat er dann vergessen. Nach dem Hinweis vom Architekten, ist das dann aber doch in die Planung mit eingeflossen. Ein Glück, denn nach nur 9 Jahren ist es dann tatsächlich soweit, das erste Enkelchen zieht ein und alle sind froh, dass oben noch ein Kinderzimmer frei war.

Was wird vom Architekten erwartet?

Planung, Bauüberwachung, Kostenschätzung, Kostenüberwachung, Rechnungsprüfung und Schriftverkehr sind nur wenige Aspekte der Architektentätigkeit. Planen kann er ja, aber für den Rest ist er als Uni-Abgänger schlichtweg nicht vorbereitet. Was heißt das genau?
Der Diplom Ingenieur der Architektur wird mit einem Stapel Pläne auf die Baustelle gestellt und soll den Handwerkern auf die Finger schauen. Das klappt ja noch, aber dann soll er bewerten, ob die Arbeit, die diese Leute da verrichten, auch richtig ist. Das ist je nach Detailierungsgrad der Pläne relativ einfach. Bei einem 1:1 Plan, kann man kaum etwas falsch verstehen, denn da ist, wie der Name „Eins-zu-Eins“ schon sagt, wirklich alles abgebildet. Von der Dichtungsschicht bis hin zum Silikonklecks an der Fensterbank. Ist der Plan aber in 1:100 oder gar 1:200 abgebildet, dann sieht man nur schwarze Linien mit weissen Unterbrechungen, was dann Wände und Öffnungen sind. Anhand dieser abstrakten Darstellung ist es unmöglich nachzuvollziehen, wo welches Bauteil wie verbaut sein soll. – Und da soll sich dann der Herr Absolvent aus der Nase ziehen, wie das ganze funktioniert und ob das so richtig ist. Wann hat er sowas schonmal gesehen? Mit etwas Glück im Praktikum, aber das ist auch eher selten, denn Praktikanten bekommen die Bauleiteraufgaben selten zu Gesicht, immerhin ist die Bauleitung viel zu anspruchsvoll und zu fehleranfällig als dass ein Praktikant oder Werkstudent da etwas machen dürfte. 
Sobald er aber ein Zeugnis in der Hand hat, wird erwartet, dass er alles schon mehrfach gesehen hat und weiss, wie etwas verbaut wird, als wäre er ein Handwerker und hätte eine Ausbildung darin gemacht. – Und das in allen Gewerken, die es so gibt. Er ist also in der Vorstellung der Bauherren und der Gesetze ein Allroundtalent mit 200 Jahren Berufserfahrung. Oder hat es gefälligst zu sein.

Wo ist dabei das Problem?

Das Problem liegt darin, dass niemand innerhalb von einer Woche nach Erhalt des Zeugnisses, diese von einem erwarteten 200 Jahre Berufserfahrung erlangen kann und wird. Dennoch ist der Jungarchitekt dazu verpflichtet, diese Fehler und Mängel zu erkennen und anzuzeigen. Die Universitäten vermitteln viel theoretisches Wissen und die Philosophie, die hinter dem ehrenwerten Beruf des Architekten steckt, doch sie ist keine Ausbildung, in der der Auszubildende vollen Überblick in alle Gewerke erhält.
Meistens wird sogar erwartet, dass der Architekt mehr Wissen besitzt als der jeweilige Handwerker. Obwohl man meinen sollte, der Handwerker müsse wissen, welche Materialien er verbaut und wie sie chemisch miteinander reagieren, welche Hersteller mit welchen kombiniert werden können und wie man spezifische Probleme am besten löst, ist es doch immer wieder der Architekt, von dem erwartet wird, dass er dem Handwerker und dem Bauherren sagen kann, was wie wo in welcher Weise kombiniert werden kann und was wie wo und in welcher Weise funktioniert und ggf. warum es nicht funktioniert. 
Das Problem dabei: Ein Architekt ist kein Hellseher. Ein Architekt ist Planer, kein Werkstoffingenieur. Diese werden seperat ausgebildet und eindeutig besser bezahlt als jeder Architekt es jemals wird, warum also wird erwartet, dass ein Architekt das theoretische Wissen dieser hoch qualifiziert geschulten Menschen auch noch hat?

Der Lichtblick?

Absolventen des Studiengangs Architektur dürfen sich so lange nicht Architekt nennen, bis sie sich in die Architektenkammer eintragen lassen konnten. Um dies zu schaffen, muss man mindestens 2 Jahre Berufserfahrung nachweisen, alle Tätigkeitsfelder des Architekten durchlaufen und per Punktesystem eine gewisse Anzahl an Fortbildungen absolviert haben. Diese zwei Jahre geben dem Absolventen etwas Pufferzeit, um sich auf Baustellen umzusehen und ein Auge für ausgeführte Arbeiten zu entwickeln. Da er sich in den ersten zwei Jahren ohnehin nicht vollumfänglich selbstständig machen darf, ist er beschränkt haftbar und meistens irgendwie angstellt. Das Risiko liegt also nicht allein bei ihm und wenn wirklich etwas schief läuft, sollte er einen erfahrenen Chef haben, der Fehler erkennt und weiß, wie man zu handeln hat.
Doppelter Boden mit integriertem Fallnetz sozusagen.

Dass man nach der Uni erstmal ‚Nichts‘ weiss, ist nichts neues, allerdings fehlt mir im Bereich Architektur definitiv ein Trainee-Programm, das als erweiterte Ausbildung gesehen werden kann. Architektur-Absolventen werden ins eisige Wasser geworfen, was bei großen Unternehmen teils durch Mentoring-Programme abgemildert wird, in kleinen Büros aber duraus kritisch und rechtlich riskant sein kann.

2 thoughts on “Studium vs. Arbeit

  1. „[…]sondern viel mehr das sinnvolle Kombinieren von Möglichkeiten unter Berücksichtigung wichtiger Vorgaben bei kreativer Auslegung zwingender Einschränkungen.“

    Ich glaube diesen Satz häng ich mir über den Schreibtisch. Besser kann man es nicht formulieren.

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