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Für Architekten Serie Studentengeschichten

Der erste Tag in Bau1

Es ist halb neun Uhr morgens, kalt und regnerisch. Es ist ein ungemütlicher Herbsttag. Die Kapuze der schwarzen Winterjacke ist tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Taschen vergraben. Obwohl es Bindfäden regnet, liegt der obligatorische Miniregenschirm in den Untiefen ihrer Umhängetasche. Sie, das ist Fiona, eine frisch gebackene Studentin, die von weit her gekommen ist, weil in dieser kleinen Stadt die Mieten günstig sind und man noch das altehrwürdige Diplom machen kann.

Drei Mal schon ist sie an diesem Gebäude vorbei gelaufen, ohne es weiter zu beachten, obwohl ihre neue Mitbewohnerin ihr doch genau gesagt hat, wo es liegt. Aber es sieht eben doch so unscheinbar und uneindeutig aus, wenn man mit etwas anderem rechnet. Zwischen ein paar Bäumen versteckt und von der Straße weg gerückt, steht ein altes Gebäude mit neuerem Anbau im grauen Oktoberregen und nimmt ein paar Gestalten durch seine Glasfassade auf, die durch den Regen ins Innere eilen.

Die Pfaffenbergstraße 95 sollte es sein, oder das Universitätsgebäude 1, aber weder eine 95 noch eine 1 stehen irgendwo an diesem Haus.
Neugier oder der Unwille noch weiter durch den Regen zu stapfen bringen sie dazu, doch über den kleinen Vorplatz zu gehen und einen Blick in das Gebäude zu riskieren. Auch wenn es tatsächlich von Außen eher aussieht wie eine Schule, ist es doch das richtige Gebäude auf dem Campus. Der Campus, der sich „Kleiner Campus Pfaffenberg“ nennt, was sie aber erst viel später erfährt.
Drinnen herrscht schüchternes Gewusel von an die vierzig tropfnassen Gestalten, die alle nichts mit sich anzufangen wissen. Einige wenige wuseln geschäftig durch das Foyer, das von einer großen Treppe dominiert wird. Hoch und runter, in die Gänge und durch eine kleine Tür laufen sie und haben kein Auge für die unsicher wartenden, die sich nach und nach in kleinen Grüppchen zusammen rauffen und sich gegenseitig bestätigen, dass sie alle nicht wissen, was genau sie hier tun und wie es weiter geht. Aber man ist sich einig, man ist in der Pfaffenbergstraße 95. Einer hat es jedenfalls zu wissen vorgegeben und die anderen hoffen, dass er Recht hat, denn sie haben keine Lust mehr, weiter suchend im Nassen zu stehen.
Innerhalb der nächsten halben Stunde werden aus den vierzig Tropfenden rund 90 und um kurz vor neun erbarmt sich ein groß gewachsener, blonder, junger Student und spricht mit einem Strahlen auf dem Gesicht, als wäre das der schönste Tag seines Semesters, zu den Neulingen, die augenblicklich verstummen und froh sind, endlich aus der Ahnungslosigkeit befreit zu werden.
Allerdings erzählt er so viel, dass die Meisten später weiterhin ahnungslos sind. Sie werden aber mit dem guten Gefühl zurück gelassen, dass sie ein paar Zettel in die Hand gedrückt bekommen und dass man sich in der folgenden Woche um sie kümmern wird.
Sie werden durchgezählt von Eins bis Acht und werden den Nummern nach zu zufälligen Gruppen zusammen gemischt. Alle Einsen zusammen, alle Zweien zusammen, und so weiter. Jede Gruppe gehört zu einem Mentor, der sie die ganze Woche lang begleiten und ihnen das Wichtigste zeigen und erklären wird.
Alle hinterher!
Nach einer kurzen Begrüßung des Mentors, der in Wirklichkeit eine Mentorin ist und Eva heißt, geht es auch schon los. Ein kurzer Blick über die Schulter verrät Fiona, dass die anderen Gruppen auch aufbrechen, also jetzt bloß nicht den Anschluss verlieren. Eva führt sie durch die unendlich verwirrenden Flure des Gebäudes und macht halt an Büros, die hier Lehrgebiete heißen, die niemand aus der Gruppe je wiederfinden würde. Jedenfalls sind sie alle aufgrund des Übermaßes an Neuem, felsenfest davon überzeugt.

 

Nachdem sich alle an die Temperaturen im Inneren des Gebäudes gewöhnt haben und die Jacken inzwischen offen stehen, verrät Eva ihrer wenig begeisterten Gruppe, dass es jetzt wieder nach draussen geht. Mit wenig Begeisterung aber folgsam trabt das kleine Rudel hinter Eva her in den Regen und nach und nach öffnen sich die Regenschirme. Unsere Neustudentin teilt sich mit dem zufällig neben ihr stehenden Mädchen, das seinen Schirm vergessen hat. Somit sind sie die folgenden drei Stunden durch Regen und sozialem Schirm-Sharing miteinander verbunden. Dass ein Teil dieser zufälligen Gruppe, und vor allem dieses eine Mädchen unter ihrem Schirm, bis zum Abschluss und darüber hinaus eine Rolle in ihrem Leben spielen wird, damit hätte sie an diesem ersten Tag nicht gerechnet.
Es folgt eine Wanderung durch unscheinbare Pfade zwischen Kindergärten und Schulen hindurch zum eigentlichen Campus. Wenn man diese Wege nicht kennt, würde man nicht auf die Idee kommen, sie zu benutzen, weil sie fast wie Privatwege aussehen.
Der Campus erweist sich als hügeliges Areal mit diversen Gebäuden, die auf den ersten Blick ohne hohen architektonischen Wert an den Stadtrand gestreut wurden. Für die angehenden Architekten schrecklich weit weg von ihrem „Hauptquartier“ befindet sich die Mensa, das Rechenzentrum, die Hauptbibliothek und der Audimax. Die Mensa werden einige noch schmerzlich vermissen, das Rechenzentrum wird der Ort der zweitgrößten Ängste in ihrem Studium werden, die Hauptbibliothek wird erstaunlicherweise keine Rolle in ihrer Studentenlaufbahn spielen und der Weg in den Audimax wird nur sehr selten von ihnen zurück gelegt werden, weshalb sie, wenn es dann soweit ist, erstmal wieder schauen müssen, wo der denn nochmal war.
Nach etwa zwei informationsgefüllten Stunden unter Regenschirmen, finden sich die Architektenanwärter wieder im Foyer von „Bau1“ wieder, dem Gebäude, in dem die Fakultät ARuBi* untergebracht ist. ARuBi steht für Architektur, Raum- und Umweltplanung und Bauingenieurwesen. Die Gruppen kommen nach und nach wieder zusammen und der sonnige junge Mann von heute Morgen erzählt, dass es am Abend eine Art Schnitzeljagt durch die Stadt geben wird, die zum einen dazu dient, die Stadt besser kennen zu lernen und zum anderen, die Gruppen näher zusammen zu bringen.
Das Vorhaben scheitert leider aufgrund aktuer, wetterbedingter Unlust seitens der Protagonisten und so bleibt nur die Verabredung bestehen, sich morgen um 9 Uhr wieder im Foyer zu treffen.

*Die Fachbereiche sind zu diesem Zeitpunkt 2008 noch zusammengelegt und teilen sich die Vorlesungen sowie einen gemeinsamen Fachschaftsrat.

 Hier gibt’s den Workflow für das heutige Titelbild zu sehen. Mal was Neues im neuen Jahr.

2 thoughts on “Der erste Tag in Bau1

  1. Krawooom- Du hast mich gerade ins Jahr 1999 zurückkatapultiert!
    Es hat zwar nicht geregnet, aber ansonsten scheint es auch schon damals den gleichen Ablauf gegeben zu haben :)
    Inklusive netter Tutoren und dieser schicksalshaften Begegnung, entsprungen aus reinem Zufall, der eine inzwischen jahrzentelange Freundschaft folgte!

    Ich bin schon sehr gespannt auf die Fortsetzung und ob ich einige erwähnte Personen wiedererkenne ;)

    1. Oha :D Na das ist aber sehr interessant, dass das alles gleich geblieben ist. Das wird bestimmt in 20 Jahren immer noch so sein ;)

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