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Tuschkastensiedlung | Die bunteste Berliner Welterbe-Siedlung

Eine lange kopfsteingepflasterte Straße führt im Berliner Süd-Osten vorbei an schmucken kleinen Gartenzäunen, hinter denen sich farbenfrohe Häuser reihen. Manche davon sind Reihenhäuser, andere stehen als Solitäre in ihren Gärten, aber gemeinsam haben sie eines: Jede Wohneinheit hat ihre eigene Farbe und alle gehören zur Tuschkastensiedlung von Bruno Taut. Aber auch größere Häuser finden sich in unmittelbarer Nähe zu diesen bunten Häusern der Gartenstadt Falkenberg. Sie sind akzentuiert oder sogar kariert.
Der Architekt dieser fröhlichen kleinen Ansammlung an farbintensiven Häuschen ist Bruno Taut, der 1912 vom Berliner Spar- und Bauverein den Auftrag bekam, in Treptow-Köpenick auf 75 Hektar einen Bebauungsplan auszuarbeiten, der die Hanglage des Areals besonders gut ausnutzte.
Tuschkastensiedlung, Gartenstadtweg, 12524 Berlin
Tuschkastensiedlung, Gartenstadtweg, 12524 Berlin

Tuschkastensiedlung a.k.a. Gartenstadt Falkenberg

Der bezeichnende Name Tuschkastensiedlung ist in Architektenkreisen und bei architekturinteressierten Berlinern bekannter als der offizielle Name „Gartenstadt Falkenberg„. Berliner vergeben gerne lustige Namen wie Telespargel, Goldelse oder Erichs Lampenladen (hier geht’s zu einem kurzen Video aus dem Palast der Republik aka Erichs Lampenladen, Luftaufnahmen von der Goldelse, Luftaufnahmen vom Fernsehturm aka Telespargel mit atemberaubendem Panorama von Berlin). Die sind für gewöhnlich auch viel einprägsamer und sie verbreiten gute Laune, denn oft sind sie gar nicht so ernst gemeint und haben eine gewisse Portion Humor mit inbegriffen.
Heute mag die Tuschkastensiedlung nicht mehr zeitgemäß wirken, doch damals entsprang sie dem Zeitgeist. Hätte der erste Weltkrieg die Bauarbeiten nicht unterbrochen, so wären heute mehr Entwürfe von Bruno Taut auf diesem Areal zu sehen. So gibt es 127 Wohnungen, die dort nach Tauts Ideen entwickelt wurden.
Blaues Haus über der Gartenstadt Falkenberg in Berlin
Blaues Haus über der Gartenstadt Falkenberg in Berlin

Denkmal & Unesco Weltwerbe

Heute stehen die Gebäude der Tuschkastensiedlung von Bruno Taut unter Denkmalschutz. Das heißt, sie müssen von ihren Bewohnern so erhalten bleiben, wie sie sind und unterliegen strengen Auflagen. Wer sich also ein Häuschen in der Gartenstadt Falkenberg gönnt, ist ein Liebhaber und tut dies aus Überzeugung und nicht, weil die Wohnungen so schön billig sind.
Im Juli 2008 wurde die Tuschkastensiedlung in die UNESCO Welterbeliste aufgenommen und bleibt somit als Zeugnis der Berliner Moderne für die Nachwelt erhalten.

Farben

Die ungewöhnlich anmutende und intensive Farbgebung hat der Siedlung ihren Spitznamen Tuschkastensiedlung gegeben. Mit der Farbgebung distanzierte sich Bruno Taut von John Ruskins Ansicht, dass nur die Materialien die Farbgebung eines Hauses bestimmen sollten. Unter Ruskins Gesichtpunkten war Bruno Tauts Tuschkastensieldung ‚unrechtmäßige Architektur‘. Nach Ruskins Auffassung, hätte ein rotes Gebäude beispielsweise aus rotem Sandstein gefertigt werden müssen. Bruno Taut hingegen war da anderer Meinung und erkannte die Farbe als etwas eigenes. So waren viel günstigere, farbenfrohere Fassaden möglich.
Orange und Gelb in der Tuschkastensiedlung in Berlin
Orange und Gelb in der Tuschkastensiedlung in Berlin

Städtebau

Beachtlich ist der Unterschied der Tuschkastensiedlung zu vielen anderen Siedlungen dieser Zeit, deren Merkmal eine unbestreitbare Eintönigkeit war. Günstig und schnell sollte gebaut werden, also entstanden ganze Siedlungen mit identischen Häusern und identischer Farbgebung. Diese Monotonie wirkt nicht nur bedrückend sondern auch verwirrend, denn es fällt schwer, die Orientierung zu behalten.
Bruno Taut hingegen spielte mit den Achsen von Straße und Platz und schuf so eine große visuelle Abwechlsung. Hinzu kommt die vertikale Versetzung der Gebäude je nach Position auf dem jeweiligen Hanggrundstück. Die bunten Farbkleckse der Tuschkastensiedlung reihen sich nicht stur aneinander sondern springen die Straße entlang.

Spott und Anerkennung

Früher war der Name Tuschkastensiedlung noch durchaus spöttisch gemeint. Die Berliner Bewohner standen der revolutionären Idee des Architekten Bruno Taut skeptisch gegenüber und der Unterschied zu anderen, monotonen Siedlungen, war deutlich zu sehen. Man wohnte eben anders. Inzwischen ist der Name Tuschkastensiedlung durchaus anerkennend zu werten und die Bewohner wohnen dort voller Stolz.

Geliebte Barrieren

Auch wenn manche Bewohner schon seit Geburt an in der Tuschkastensiedlung leben, dort mehrere Kinder großgezogen haben und nun in einem Alter sind, in dem andere gerne einen Treppenlift benutzen würden, gibt es noch stolze Berliner, die hier nicht wegziehen wollen. Die Fluktuation ist in dieser Siedlung sehr gering. Die Menschen wollen nicht wegziehen. Im Gegenteil, immer mehr Menschen wollen in die Siedlung ziehen. Es gibt Wartelisten für die Siedlung und man muss hoffen.

Grüne Oase und ehemalige Selbstversorger

Bruno Taut hatte für seine Tuschkastensiedlung große Pläne. Die Bewohner sollten sich hier selbst versorgen können. In den Gärten sollte Gemüse wachsen, im Hof der Hahn krähen und an den Bäumen das Obst reifen. Vorbild dafür waren die englischen Siedlungen, mit denen sich auch Hermann Muthesius viel beschäftigte. Die Hanglage der Anlage eignete sich hervorragend, das Gemüse anzubauen, denn die von der Sonne beschienene Oberfläche war groß, der Boden konnte sich aufwärmen und die Pflanzen wachsen.
Die Gartenstadt Falkenberg sollte ein genaues Gegenteil der Berliner Mietskaserne sein. Gärten und Balkone wurden gegen dunkle Hinterhöfe getauscht. Und dennoch sollten diese Häuser eine Antwort auf die Wohnungsnot sein. Die einzelnen Wohnungen sind nicht übermäßig groß, sodass eine große Zahl Wohnungen in dieser Siedlung zu errichten war.
Brenne Architekten haben die Gartenstadt Falkenberg denkmalgerecht saniert
Brenne Architekten haben die Gartenstadt Falkenberg denkmalgerecht saniert

Denkmalgerechte Sanierung

Das Architekturbüro Winfried Brenne, bei dem 2013 u.a. auch ich gearbeitet habe, hat die Gebäude der Gartenstadt Falkenberg 1992-2002 gründlich saniert. Die Fassaden mussten nicht verändert werden, da die Wände aus 38 Zentimeter Mauerwerk bestehen. Die energetische Ertüchtigung erfolgte hauptsächlich durch die Installation neuer Heizkessel und die Dämmung von Kellerdecken und obersten Geschossdecken.

Wo, wie, wer?

Die Adresse ist:
Gartenstadtweg, 12524 Berlin
Der Architekt ist:
Bruno Taut
Die Busanbindung:
Buslinie 163, Gartenstadtweg

Eure Meinung

Wie findet ihr die bunten Häuser der Moderne und welches ist euer liebster Bau von Bruno Taut? Habt ihr die Tuschkastensiedlung schon mal besucht, oder nur von ihr gehört? Ich war im Spätsommer 2011 dort und sie blieb mir in Erinnerung.
Schreibt mir in die Kommentare und teilt den Artikel mit euren Freunden!

Weiteres?

Interessiert ihr euch für weitere solcher Artikel? Schaut in der Rubrik Streiflicht auf raumzeichner vorbei, hier werde ich immer wieder Architektur, Plätze und Architekten unter die Lupe nehmen. So habe ich zum Beispiel über das Fakultätsgebäude der Architektur „Bau Eins“ in Kaiserslautern, das „Haus Eckstein“ in Nürnberg oder Il Gesù in Rom bereits geschrieben. Außerdem ist dieser Artikel Teil der „Magic Letters“ und behandelt das Thema „B wie Bunt“.

8 thoughts on “Tuschkastensiedlung | Die bunteste Berliner Welterbe-Siedlung

  1. Applaus! Schöner und informativer Beitrag!
    Ich habe eine Menge gelernt und sobald das Wetter etwas freundlicher ist, werd ich da auch mal hin.

    Großartig, dass Du sogar den Bogen zum „bunt“ schlagen konntest!

    1. Ja, es hat tatsächlich eine ganze Weile gedauert, bis ich DIE Idee hatte, wie ich Bund und Architektur sinnvoll unter einen Hut bringen konnte. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon fast aufgegeben, das Thema „Bunt“ anzuschneiden. Dann kam aber DIE Erleuchtung, natürlich auf der Arbeit beim Kaffee trinken. Immer, wenn man es gerade gar nicht gebrauchen kann ;)

      Dein Beitrag über Balkone ist aber auch recht bunt und sogar irgendwie architektonisch ^^ Aber es ist doch beruhigend, dass du auch an der Aufgabe knabbern musstest.

      1. Klar, zu dieser Jahreszeit war das Thema eine harte Nuss.
        Umso mehr begeistert mich Deine Umsetzung.

        Ich freue mich schon auf die architektonische Lehrführung über den Flughafen!

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