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Für Architekten Streifzug Urbanes

Pilotstadt Songdo

Jede Woche ziehen weltweit 1 Millionen Menschen in die Stadt. Städte nehmen nur rund 2% der Erdoberfläche ein, beherbergen aber schon über 50% der menschlichen Bevölkerung. Die Urbanisierung der Welt entwickelt sich in beeindruckender Geschwindigkeit.
Um nicht zu kollabieren, entwickelt sich Städte notgedrungen immer weiter. Ressourcenschonung beispielsweise ist ein Thema, das die größte Wirkung zeigen wird, wenn sie in den Städten angewendet wird. Dort ballen sich Verbräuche und CO2-Ausstoß, Infrastrukturen kommen an ihre Grenzen, um die Menschen vor Ort mit Lebensmitteln zu versorgen.

grüne Idealstadt Songdo in Südkorea

Stadtutopien

Prototyp-Städte gibt es unter anderem in China, Südkorea und Abu Dhabi. Sie sollen grüner werden, bessere Infrastrukturen aufweisen, voll digitalisiert sein und eine ökologische Ausrichtung haben. Urbane Utopien gab es schon immer. Architekten und Städteplaner zerbrachen sich schon seit jeher die Köpfe über bessere oder gar perfekte Städte.
Ein neues Phänomen bei all der Städteplanung ist, dass Ingenieure und Planer nicht mehr nur damit beschäftigt sind, Städte zu verbessern, sondern sie von Grund auf auf ‚grüner Wiese‘ zu planen. Momentan gibt es einen neuen Schwung Planer, die ihre Ideen aufzeichnen und umzusetzen beginnen. Wie sich die Ideen umsetzen lassen und funktionieren, oder ob sie nur Träume bleiben, bleibt abzuwarten und genau zu beobachten. Wie Utopien zu Geisterstädten werden können, zeigt die Stadt New Ordos (Kangbashi) in China, die in der Realität so gar nicht funktioniert. (YouTube-Video). Die Idee dahinter war eine Stadt, die mit einem Merkmal glänzt, das für Chinas Metropolen undenkbar schien: Platz. Allerdings sind die Wohnungen so teuer, dass nicht einmal die wenigen Menschen, die dort arbeiten und den nicht vorhandenen Verkehr regeln, die Grünanlagen pflegen oder die Plätze fegen, dort wohnen können. Auch Brasilia war eine gut gemeinte Planung.
Obwohl diese Beispiele gescheitert sind, haben viele Planer noch immer Erfolgsambitionen und kreieren weiter ‚perfekte Städte‘. Ein zu planendes Beispiel ist die King Abdullah Economic City mit einem gewaltigen Geldbudget und hoch gesteckten Ambitionen (YouTube-Clip) bis 2035. Mit dem Ansatz, dass alles Gestaltbar ist, wenn man von ex nihilo* anfängt, wird geplant. Allerdings fehlt dann die Identität, die eine Stadt hat, die gewachsen ist und in der viele Individuen ihre Parzellen bearbeitet haben und damit unfassbare Vielfalt liefern.

geänderte Stadtideale

Während man früher noch die Städte nach ihren Nutzungen aufteilte und Wohnen weit weg von Arbeit und Freizeit ansiedelte, geht der Trend nun in eine andere Richtung. Der ehemalige Gedanke macht durchaus Sinn, wenn man die Ausgangslage in der industriellen Revolution sieht, in der man möglichst weit weg von stinkenden Fabriken wohnen und seine Freizeit nicht in engen Wohnblöcken verbringen wollte.
Heute wird sich gegenteilig eher bemüht, die Bereiche zu mischen. So werden Wege eingespart, die nicht mehr zurück gelegt werden müssen und damit Ressourcen schont. Sogar eine zeitliche versetzte Mehrfachnutzung von Arealen wird angestrebt, damit Flächen nicht zu bestimmten Uhrzeiten brach liegen. Während von 8-17 Uhr im Büroturm gearbeitet wird, werden nach 19 Uhr die Cafés und Clubs in den oberen und unteren Etage geöffnet und an den Wochenenden werden die Plätze davor mit OutDoor-Events bespielt.

Songdo – künftiger Knotenpunkt im globalen Netzwerk

Viele neue Metropolen, die ex nihilo geplant werden, wollen Knotenpunkte im globalen Netzwerk (Hubs) werden. Eine solche Ambition hat Songdo in Südkorea. Auf 6 Quadratkilometern soll die Wirtschaftsstadt, die auf neues Land im gelben Meer gebaut wurde, stark und mächtig werden. Die Finanzierung läuft momentan komplett privatwirtschaftlich mit koreanischen und amerikanischen Unternehmen. 35 Milliarden Dollar soll das Projekt Songdo mit all seiner Vernetzung und Infrastruktur kosten.

2001 wurde 60km entfernt von Koreas Hauptstadt Seoul mit dem Bau begonnen. Sie wurde in die Freihandelszone von Incheon gelegt, um wirtschaftlich attraktiv zu sein und Investoren anzulocken. Das sollte durch die Unmittelbare Nähe zum Flughafen Incheon gewährleistet werden, der laut des Kommissars der Freihandelszone Incheon Lee Jong-Cheol für 30% der Weltbevölkerung nur 3 Stunden entfernt ist.
Die Aerotropolis, die Flughafenstadt, liegt auf halben Weg zwischen China und Japan und sollte bis zum Jahr 2020 etwa 65.000 Einwohner haben. Momentan sind es etwa 20.000. Die Einwohnerzahl liegt damit etwas unter 50% des kleines Ortsteils Rudow in Neukölln. (Stand 30. Juni 2014 mit 41.221 Einwohnern).
Korea zwischen Tradition und Moderne
Korea zwischen Tradition und Moderne

Geschichtslosigkeit mit Architektur ausgleichen

Städte ziehen ihre Bewohner nicht selten wegen ihrer Geschichte an. Geschichte vermittelt Identität und eine Verbundenheit, sie zeigt Entwicklungen und damit auch immer Möglichkeiten zu Verbesserungen. Geschichtsträchtige Orte wirken attraktiv und interessant auf Bewohner, auch wenn sie keine genauen Geschichtskenntnisse haben. Um diese Geschichtslosigkeit auszugleichen, setzen Songdos Planer auf Architektur, die bekannten und beliebten Beispielen dicht nachempfunden ist. Ideengeber waren beispielsweise das New World Trade Center in New York für den Northeast Asia Trade Tower oder die Oper in Sydney für das internationale Konferenzzentrum „Songdo Conversia“. Diese Gebäude sowie der Musterplan dieser Stadt wurden vom New Yorker Architekturbüro KPF entworfen.

aktive Inspiration

Die besten urbanen und architektonischen Ideen aus anderen Städten wurden in Songdo wiederverwertet. So waren die Amsterdamer Grachten und der Central Park Inspirationen. Probleme, die in anderen Städten auftauchen, sollen von Vornherein vermieden werden. Der Park als Herzstück und grüne Lunge der Stadt soll vor Überhitzung schützen und den Bewohnern Freifläche zur Erholung bieten. Mit 40-Flächenprozent Grünanlagen ist die nachhaltige Stadt eindeutig nach westlichen Qualitätsmerkmalen geplant.

Ökostadt

Generell werden ökologische Aspekte bei der Planung immer relevanter. Die Lebensqualität der Menschen soll verbessert und der CO2-Fußabdruck neuer und bestehender Städte soll beständig kleiner werden. Zwar werden in China aktuell im Dutzenderpack Ökostädte entworfen, doch auch Songdo in Südkorea schreibt sich Ökologie und Nachhaltigkeit auf die Fahnen und macht damit einen wegweisender Schritt in die richtige Richtung, wenn alles wunschgemäß funktioniert. Sein erstes Etappenziel hat Songdo schon damit erreicht, dass es als grüne Vorzeigestadt anerkannt ist. Bonn und Genf konkurrierten mit Songdo um den Sitz des UN-Klima-Fonts, der letztendlich 2012 nach Südkorea zog.

Pilotstadt – SmartCity

Städte wie Songdo sind Pilotstädte für alle möglichen urban relevanten Entwicklungsbereiche. Hier können Entwickler ihre Theorien am ‚lebenden Objekt‘ testen. ITler suchen nach dem Optimum der Vernetzung und damit einer maximal möglichen Ressourcenschonung in Symbiose mit der Stadtentwicklung.
Schlechte Vernetzung auf kleiner Ebene, wie zum Beispiel einem einzelnen Geschäftshaus, lässt sich skalieren und somit auf Städte übertragen. Während in einem Gebäude Licht, Lüftung, Heizung und Aufzüge wenig bis gar nicht miteinander kommunizieren, sollen erhebliche Einsparungen möglich sein, wenn diese Systeme alle miteinander vernetzt sind und nur dort aktiv werden, wo sie gerade gebraucht werden, statt dort zu arbeiten, wo vergessen wurde, sie abzuschalten.

Vernetzung und Überwachung

In Songdo wird mit Cisco daran gearbeitet, eine komplett vernetzte Stadt zu erstellen. Alle Systeme kommunizieren miteinander und sollen ihre Wirtschaftlichkeit optimieren. Die ganze Stadt ist mit Sensoren und Kameras ausgestattet. Die Daten sammeln sich in einer einzigen großen Schaltzentrale, einem einzigen großen Rechner in der Stadt. Dort werden u.a. Kameraaufnahmen, Wetter- und Verkehrsdaten ausgewertet.
Durch die ständige und absolute Möglichkeit, alle Tätigkeiten und Dienste bestimmten Personen und Haushalten zuzuordnen, können mit einer einzigen Schließkarte sämtliche Dienste in Anspruch genommen werden. Dafür können auch die Bewohner beispielsweise ihre Kinder von der Wohnung aus beim Spielen auf den Plätzen beobachten, da immer alles überwacht und mit Kameras festgehalten wird.
Intelligente Kameras mit Akkustiksensoren erkennen zum Beispiel Waffenschüsse und übermitteln Ton und Bild aus dem entsprechenden Areal direkt an die zuständigen Behörden um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten und Reaktionszeiten drastisch zu verkürzen.

Energieprobleme lösen durch ständige Überwachung für intelligente Ressourcenverteilung

Fossile Energieträger können nur komplett abgeschafft werden, wenn das Problem der Energiespeicherung gelöst wird. Auch wenn auf Windkraft, Solarenergie und Geothermie gesetzt wird, so scheint weder beständig die Sonne noch weht immer ein kräftiger Wind.
Während Zähler überwachen wer wieviel Energie verbraucht und den Bewohnern anzeigen, wie hoch der eigene Verbrauch im Vergleich zum Durchschnitt ist, kann der Verbrauch durch den Wettbewerbsgedanken gesenkt werden und überprüfende Instanzen der Kontrollcentren können in Echtzeit überwachen, wo welche Ressourcen in welcher Menge gebraucht werden. Dementsprechend kann sich die Produktion an den Verbrauch anpassen. Überschuss soll möglichst nicht im Äther verschwinden.
Die Überwachung und Auswertung beschränkt sich allerdings nicht auf den Energieverbrauch und die Zufuhroptimierung. Derweil Verkehrsteilnehmer aufgrund der flächendeckenden Überwachung gewarnt werden können, wenn es Staus oder andere Behinderungen gibt, werden falsch geparkte Fahrzeuge automatisch vom System erfasst und Strafzettel automatisch an die Halter verschickt.

Kritik am System

Aus Zeiten von Big Brother und der Angst vor dem Gläsernen Menschen werden Kritiker des „Big Data“ laut. Obwohl Big Data nicht zwingend mit Big Brother zu vergleichen ist, sind Gemeinsamkeiten nicht von der Hand zu weisen. Der Umfang der Befugnisse der Regierungen gilt scharf überwacht zu werden, damit diese nicht beginnen ihre Bewohner zu bespitzeln und zu analysieren. Sobald Bewegungsprofile erstellt werden und damit nach Regierungsgegnern gefahndet wird, sind Persönlichkeitsrechte gefährdet. Erinnerungen an die Stasi kommen ins Bewusstsein. Dass die Möglichkeiten dafür bestehen, bedeutet aber nicht, dass diese Möglichkeiten missbraucht werden, aber unsere sensible und subversive Gesellschaft wird bei solch einem Überwachungsumfang schnell hellhörig.
Wie ist deine Meinung zu den neuen Stadtutopien und Innovationen? Findest du, dass diese Städte Chancen haben oder verlieren sie sich doch irgendwann aufgrund verschiedenster Faktoren im planerischen Nirvana? Hast du schon mal Brasilia, New Ordos oder gar Songdo besucht und kannst etwas berichten?
Sind bei dir Fragen offen geblieben, sind Zusammenhänge unerklärt? 
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ex nihilo: Schöpfung aus dem Nichts
 
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